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Siedlung Bruchfeldstraße in Frankfurt-Niederrad

Das Neue Frankfurt: Ein Jahrhundertprojekt des modernen Wohnungsbaus

Die Geschichte als Inspiration?

12.12.2025

Vor 100 Jahren wurde in Frankfurt ein einmaliges Bauprogramm gestartet: Über 12'000 neue Wohnungen entstanden innerhalb weniger Jahre. Was lehrt uns Das Neue Frankfurt für die Lösung der aktuellen Wohnungskrise?

Lesedauer: 4 Minuten

Das Neue Frankfurt feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Dafür wurden im Frankfurter Museum für angewandte Kunst gleich mehrere Ausstellungen und eine Vielzahl von Veranstaltungen organisiert, wovon einige noch bis Januar 2026 zu erleben sind. Neben der Geschichte der Reformideen in Stadtplanung, Architektur und Lebenskultur, die sich in wenigen Jahren unter der Führung des Architekten Ernst May (1886–1970) entwickelten, ist aus heutiger Perspektive vor allem interessant, ob und was sich aus dem Wohnungsbauprogramm lernen lässt. Denn die Geschichte bleibt nur dann relevant, wenn sie aus der Jetztzeit befragt neue Linien der Kontinuität ermöglicht.

Paar liest 1927 auf einer Dachterrasse der Siedlung Bruchfeldstraße
Ein Paar liest 1927 auf einer Dachterrasse der Siedlung Bruchfeldstraße. Das Neue Frankfurt war nicht nur ein Wohnungsbauprogramm, sondern ein umfassendes Reformprojekt. (© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt | Foto: Paul Wolff)

Was machte Das Neue Frankfurt aus?

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem gewaltsamen Ende der Monarchie folgten Planer und Architekten in der jungen Weimarer Republik einer gemeinwohlorientierten Entwicklung von Stadtplanung und Wohnungsbau. Mit den wirtschaftlichen Folgen des Krieges und der Hyperinflation von 1923 schwer belastet, schien die Gesellschaft offen für neue Ideen. Den programmatischen Titel für Das Neue Frankfurt erfand der 1924 gewählte Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1868–1945). Damals wurde alles mit dem Zusatz »Neu« versehen; man sprach vom Neuen Bauen, der Neuen Objektivität und dem Neuen Sehen, das bei der fotografischen Dokumentation auch in Frankfurt eine wichtige Rolle spielte. 

Die Ambitionen hinter den Begriffen waren groß: Neben einer umfassenden Stadtplanung mit einem enormen Wohnungsbauprogramm sollte das Leben selbst einen neuen Rahmen bekommen. Als Ziel fassten die Protagonisten den Neuen Menschen ins Auge, von dem der Philosoph Friedrich Nietzsche schon vor der Jahrhundertwende geträumte hatte. Mit Licht, Luft, Sonne waren populäre Aspekte benannt, die nun auch einfachen Arbeitern und ihren Familien in einem neuen Umfeld grüner Trabantenstädte eine Lebensform erlauben sollten, die über das Soziale das Ästhetische integriert und die Bewohnenden kulturell als Neue Menschen definiert.

Siedlung Bruchfeldstraße in Frankfurt-Niederrad
Die Siedlung Bruchfeldstraße in Frankfurt-Niederrad war von Ernst May und Herbert Boehm so gestaltet worden, dass die Wohnungen viel Tageslicht erhielten und über eigene Außenräume verfügten. Im Inneren der Gebäudeformation wurden Gärten angelegt. (© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt | Foto: Paul Wolff)
Heimatsiedlung in Frankfurt im Jahr 1932
Die Heimatsiedlung von Franz Roeckle im Jahr 1932. Die Wohnanlagen des Neuen Frankfurts sollten nicht nur die Wohnungsnot der 1920er-Jahre beseitigen, sondern auch eine neue, gesunde Lebenskultur etablieren. (© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt | Foto: Hannah Reeck)

Politik und Wohnungsbau

Ohne den von 1924 bis 1933 amtierenden Oberbürgermeister Ludwig Landmann wäre Das Neuen Frankfurt nicht möglich gewesen. Sein Investitionsprogramm sollte unter anderem die Wohnungsnot in der Stadt beenden und mit einer weitsichtigen Idee eine kulturelle Transformation einleiten. Der Planungsdezernent Ernst May berief dafür einen Stab junger Architekten und entwickelte ein Trabantenstadtkonzept, während sich Martin Elsaesser (1884–1957) als Stadtbaudirektor mit seinen Mitarbeitern um neue Schulen, die Großmarkthalle und andere Sonderbauten kümmerte.

Das Kernstück des Neuen Frankfurts war ein Wohnungsbauprogramm am damaligen Stadtrand, mit dem ungefähr 12'000 Wohneinheiten in öffentlich-privater Partnerschaft entstanden, die zumeist in neu angelegten Siedlungen lagen. Die meisten Projekte in Frankfurt, die ästhetisch dem Neuen Bauen zuzuordnen sind, wurden von den Mitarbeitern des Planungsamtes bearbeitet. Um Kosten zu sparen, experimentierten die Architekten mit Vorfertigung und Montageverfahren. Die wirtschaftliche Entwicklung der späteren 1920er-Jahre führte jedoch zur Verteuerung der Vorfertigung, die gegenüber konventionellen Bauten mit zehn Prozent Mehrkosten zu Buche schlug.

Arbeitersiedlung Goldstein in Frankfurt-Schwanheim im Jahr 1933
Um in wenigen Jahren über 12'000 neue Wohnungen zu bauen, setzten die Architekten auf Vorfertigung und neuartige Montageverfahren. Diese Aufnahme aus dem Jahr 1933 zeigt die Arbeitersiedlung Goldstein in Frankfurt-Schwanheim. (© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt | Foto: Paul Wolff)
Siedlung Römerstadt Frankfurt
Anlagen wie der Siedlung Römerstadt ist anzusehen, dass sie entlang von Kranbahnen errichtet wurden. Auch die Bewohnenden dieses Neubauquartiers verfügten über eigene Gärten, um sich – den Idealen der Zeit folgend – selbst versorgen zu können. (© ernst-may-gesellschaft e.v.)

Die Erziehung der Nutzerinnen und Nutzer

Eines der Ziele des Neuen Frankfurts war eine neue Wohnkultur, für die Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) die berühmt gewordene, ergonomisch gestaltete Frankfurter Küche entwickelte. Zur Verbreitung der Reformideen gab Ernst May zwischen 1926 und 1930 die Zeitschrift das neue frankfurt heraus, die 1932/33 unter dem Titel die neue stadt weitergeführt wurde. Sie propagierte die Ziele und Erfolge in Frankfurt und war nicht nur national von Bedeutung, sondern wurde auch im Ausland rezipiert, was 135 Abonnenten aus Japan beispielhaft belegen. Die Gestaltung des Journals durch die Geschwister Grete und Hans Leistikow und später Willi Baumeister sowie die Dokumentation im Sinne des Neuen Sehens durch ein ganzes Team von Fotografinnen und Fotografen trugen wesentlich zum Erfolg bei.

Der letzte große Paukenschlag war der CIAM-Kongress »Die Wohnung für das Existenzminimum«, der 1929 in Frankfurt stattfand und sich vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise mit kleinen Wohneinheiten befasste. In Frankfurt führte die wirtschaftliche Entwicklung der späten 1920er-Jahre zu Kürzungen am Budget und zu Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme. Bereits 1930 verließ Ernst May zusammen mit einer Gruppe von Architekten und Planern Frankfurt in der Hoffnung, in Moskau bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden. Ein Experiment, das nach wenigen Jahren scheiterte. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kam das Neue Frankfurt 1933 endgültig zum Ende.

Kinder spielen im Fechenheimer Bad
Gebaut wurden nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Schulen, Kultureinrichtungen und Freizeitanlagen wie das Fechenheimer Bad. Martin Elsaesser war für diese Sonderbauten verantwortlich. (© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt | Foto: Hannah Reeck)

Brauchen wir heute ein Neues Bauen?

Heute fehlen in Deutschland wieder viele Wohnungen, vor allem für die unteren Einkommensgruppen. Prognosen zufolge müssten bis 2030 mindestens zwei Millionen Einheiten gebaut werden. Vereinfachte Genehmigungsverfahren und modulares Bauen sollen den Weg dorthin ebnen. Doch es braucht mehr: Erschwingliche Bodenpreise und experimentelle Bauformen sind sicher nötig, aber auch mutige lokale Verwaltungen und Politiker, die bereit sind, Risiken zu tragen. Angesichts sich dramatisch verknappender Flächen ist nicht nur Neubau eine Möglichkeit. Vielmehr können mit Umnutzung, Erweiterung, Verdichtung oder gemeinsam genutzten Funktionen ganz neue Lebensqualitäten entstehen, wenn sie denn aus dem Kreislauf einer rein kommerziellen Logik entzogen werden. 

Im Gegensatz zur eher antiurbanen, eindimensionalen Siedlungslösung im Neuen Frankfurt muss es heute um Vielfalt gehen, damit unterschiedlichsten Bedürfnissen und Lebensentwürfen Rechnung getragen werden kann. Da kleinteilige und vielfältige Lösung für die Menschen oft wie ein Flickwerk wirken, ist es heute umso wichtiger, die Erfolge wie schon im Neuen Frankfurt medial zu kommunizieren. Es braucht einen starken Narrativ, um verschiedenartige Projekte in einem großen Zusammenhang erscheinen zu lassen. Denn die Einzellösung wird nicht nur über ihre Form definiert, sondern auch darüber, ob sie für die Nachbarschaft einen Mehrwert erzeugt. Das können zum Beispiel öffentliche Räume sein, die ein gesellschaftliches Miteinander erlauben, oder geteilte Funktionsräume, die gemeinsam verwaltet werden. 

Wie im Neuen Frankfurt bedarf es heute erneut beherzter Kommunalpolitik und fachübergreifender Zusammenarbeit, um Raumreserven zum Beispiel an der Peripherie zu erschließen und um unkonventionelle Strategien zuzulassen, die aus dem Bestand mit kleinstmöglichen Eingriffen einen gesellschaftlichen Mehrwert entwickeln. Denn die Zukunft des Bauens liegt vor dem Hintergrund des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der schwächelnden Wirtschaft in einer permanenten Anpassung des Vorhandenen, die offen bleibt für Transformation und neue Lebensmodelle.

Dr. Eduard Koegel

Dr. Eduard Koegel

Architekturhistoriker mit Schwerpunkt im Bereich Transfer zwischen Europa und Asien

Dr. Kögel forscht seit vielen Jahren zu architekturgeschichtlichen Themen und ihrer heutigen Relevanz. Er hat viele Publikationen und Untersuchungen zur Transfergeschichte zwischen Europa, Afrika und Asien in den Bereichen Architektur und Stadtentwicklung begleitet, und betreut für PSA-Publishers seit vielen Jahren die Plattform chinese-architects.com.

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