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Adaptive Fassaden: minimaler ökologischer Fußabdruck und maximale klimatische Anpassungfähigkeit

04.12.2025

Der Klimawandel erhöht die Anforderungen an unsere gebaute Umwelt: Gebäude müssen effizienter werden, um das Ressourcen-, Energie- und Emissionsaufkommen zu minimieren, sie müssen aber auch resilienter werden, um den zunehmenden Wetterextremen zu widerstehen.

Lesedauer: 8 Minuten

Was können adaptive Fassaden im Zusammenhang des Klimawandels leisten? Wir sprachen darüber mit Christina Eisenbarth, Professorin und Leiterin des ITRA „Institute for Technology and Resilience in Architecture" an der TU Darmstadt und Silas Kalmbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren. Beide arbeiteten zu Beginn ihrer Forschungstätigkeit zusammen. 

Alle reden vom Klimawandel. Da sind adaptive Fassaden sicher ein spannendes Forschungfeld?

Christina Eisenbarth (CE): Absolut! Fassaden stellen in dicht bebauten, innerstädtischen Gebieten die größten exponierten Flächen dar und besitzen eine große Hebelwirkung auf unser Klima: Als äußere Hülle eines Gebäudes beeinflussen sie maßgeblich sowohl das Innenraumklima als auch das Außenraumklima. Denn Fassadenmaterialien können sich unter Sonneneinstrahlung um bis zu etwa 50 K gegenüber der Umgebungsluft aufheizen und geben diese Wärme an ihr Umfeld ab. Diese aufgestaute Strahlungswärme verstärkt den städtischen Wärmeinseleffekt, der zu einer durchschnittlichen Temperaturerhöhung von bis zu etwa 12 K im Vergleich zum ruralen Umland führt. Klimaanlagen sind hier keine Lösung – sie geben ihre Abwärme in den Stadtraum ab und verschärfen damit genau das Problem, das sie vermeintlich lösen sollen.


Im Zusammenhang mit Extremwetterereignissen oder Umweltkatastrophen spricht man auch von resilienter Architektur. Was bedeutet das für die Fassade?

CE: Resilienz bedeutet für uns, die Ursachen des Klimawandels präventiv zu minimieren (Klimaschutz/Mitigation) und gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit unserer Gebäude und Quartiere an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels wie Hitze und Starkregen zu maximieren (Klimafolgenanpassung/Adaptation). Adaptive Fassaden besitzen Eigenschaften, die unsere gebaute Umwelt resilienter gegenüber unterschiedlichen klimatischen Einflüssen machen können: Das kann ein dynamisches Sonnenschutzsystem sein, das die Lichttransmissions- und Reflexionseigenschaften der Fassade so steuert, dass im Sommer der solare Wärmeeintrag in das Gebäude reduziert wird, während im Winter passive solare Energiegewinne erzielt werden. Solche adaptiven Systeme leisten damit sowohl einen Beitrag zum Klimaschutz, indem der Energiebedarf für die Gebäudekühlung und -heizung gesenkt wird, als auch zur Klimafolgenanpassung, indem sie sich an die wechselnden klimatischen Bedingungen anpassen. Konzepte wie HydroSKIN gehen im Bereich der Klimafolgenanpassung noch einen Schritt weiter.


Sie haben HydroSKIN entwickelt und dafür bereits zahlreiche Auszeichungen erhalten, national wie international. Was zeichnet das Konzept aus?

CE: Es handelt sich um eine Art „Funktionskleidung“ für die Fassade, die Regenwasser aufnimmt und durch Verdunstung kühlt. Die Fassadenelemente bestehen aus einem mehrlagigen Textil- und Membranaufbau, der in einem Aluminiumrahmen gespannt ist. Die äußere Lage ist wasserdurchlässig und dient zugleich als Filter, sodass keine Insekten oder Schmutzpartikel in das System eindringen können. Dahinter leitet ein dreidimensionales Abstandstextil die Regentropfen zu einer wasserführenden Membran, über die sie in eine Rinne im unteren Rahmenprofil abfließen. Von dort kann das gesammelte Regenwasser in ein Reservoir geleitet oder im Gebäude als Brauchwasser beispielsweise für die Toilettenspülung, den Waschmaschinenbetrieb oder zur Pflanzenbewässerung genutzt werden. In Hitzeperioden wird entsprechend aufbereitetes Wasser über Sprühdüsen im oberen Rahmenprofil wieder in das Abstandstextil eingeleitet, dessen große, luftumströmte Oberfläche eine effektive Verdunstung ermöglicht, die sowohl den Stadtraum als auch indirekt das Gebäudeinnere kühlt. Auf diese Weise wird überschüssiges Regenwasser zu einer zweifach nutzbaren Ressource. Seit 2022 testen wir HydroSKIN Prototypen am D1244 Hochhausgebäude der Universität Stuttgart unter realen Witterungsbedingungen.


Was unterscheidet adaptive Fassaden von herkömmlichen Gebäudehüllen?

CE: Klassische Fassaden sind im Wesentlichen statische Systeme – sie erfüllen dauerhaft dieselbe Funktion, unabhängig davon, wie sich die klimatischen Rahmenbedingungen oder die nutzerseitigen Anforderungen verändern. Adaptive Fassaden hingegen reagieren auf äußere und innere Einflüsse, etwa auf Sonneneinstrahlung, Temperatur, Regen, Wind oder auch auf das Verhalten und die Bedürfnisse der Gebäudenutzer. Wobei man zwischen passiv-adaptiv und aktiv-adaptiv unterscheidet. Passiv-adaptive Systeme passen sich rein materialintrinsisch ohne externe Energiezufuhr an. Beispiele sind thermochrome Gläser, die sich bei Wärme selbsttätig abdunkeln oder hygroskopische Hölzer, die sich durch Feuchtezunahme verformen. Aktiv-adaptive Systeme hingegen verfügen über Sensoren, Aktoren und eine Steuereinheit, welche eine gezielte systemisch gesteuerte Reaktion der Fassade ermöglicht. Sie können damit präzise und prädiktiv gesteuert werden, indem sie Wetter- und Nutzerprognosen berücksichtigen.

Händen zeigen HydroSKIN
HydroSKIN besteht aus einem mehrlagigen Textil- und Membranaufbau, der in einen Aluminiumrahmen mit integrierter Be- und Entwässerungstechnik gefasst ist. © Patrick Pollmeier

Wo würden Sie HydroSkin einordnen. Ist das Konzept passiv- oder aktiv-adaptiv? 

CE: HydroSKIN hat etwas von beidem. Die Regenwasseraufnahme funktioniert im Prinzip passiv: Die textile Oberfläche ist so fein strukturiert, dass sie auftreffende Regentropfen entschleunigt, teilt und dadurch aufnehmen kann, anstatt sie zu reflektieren und abprallen zu lassen. Diese Reaktion erfolgt rein materialintrinsisch, also ohne Sensoren oder Energiezufuhr. Die Verdunstungskühlung hingegen wird aktiv gesteuert. Dazu kann ein einfaches Regelsystem genutzt werden, das entweder auf Sensordaten oder auf Wetterprognosen reagiert: Sobald bestimmte Schwellenwerte erreicht oder vorhergesagt werden, wird ein Ventil geöffnet, sodass Wasser in das textile Element zurückgeführt wird. Dort verdunstet es und erzeugt die gewünschte Kühlwirkung. Das Ventil fungiert dabei als Aktor, der über entsprechende Steuerinformationen angesteuert wird. Alternativ kann dieser Vorgang auch manuell, ohne automatisierte Steuereinheit, sozusagen über einen Schalter, ausgelöst werden. 

Das dreidimensionale Abstandstextil von HydroSKIN
Das dreidimensionale Abstandstextil von HydroSKIN ermöglicht eine effektiv Verdunstung des gesammelten Regenwassers © Patrick Pollmeier

HydroSKIN folgt dem Konzept der Schwammstadt. Wie kann man in einem solchen Konzept Klimaschutz und Klimafolgenanpassung zusammenbringen?

CE: In unserer Forschung zielen wir darauf ab, den ökologischen Fußabdruck unserer gebauten Umwelt zu minimieren, indem wir Ressourcen, Energie und Emissionen reduzieren und gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit der Architektur an den Klimawandel sowie an zunehmende Extremwetterereignisse maximieren. HydroSKIN ist dafür ein gutes Beispiel: Das System kommt mit einem minimalen Materialaufkommen aus, kann aus recycelten Rohstoffen wie PET-Flaschenabfällen hergestellt werden und lässt sich nach Nutzungsende vollständig demontieren und wieder in den Stoffkreislauf zurückführen. Durch die Regenwasseraufnahme können Gebäude bis zu 46 % Frischwasser einsparen. Gleichzeitig reduziert HydroSKIN den Energiebedarf für die Gebäudekühlung und die Wasseraufbereitung um bis zu 23 % – und senkt damit auch die damit verbundenen Emissionen. Bei Starkregen entlastet die Fassade überlastete Kanalisationssysteme und mindert städtische Hitzeinseln. Unsere Messungen zeigten, dass ein Quadratmeter HydroSKIN an einem heißen Sommertag die Aufheizung von etwa 1,4 m² Asphalt, 1,6 m² Beton oder 1,8 m² dunkler Metallfassade kompensieren kann.

Herr Kalmbach, Sie beschäftigen sich explizit mit Energieeffizienz und Nutzerkomfort. Was können adaptive Fassaden hier leisten?

Silas Kalmbach (SK): Sie können beispielsweise den Lichteinfall und die Verschattung regulieren, solare Gewinne im Winter nutzen und eine Überhitzung im Sommer verhindern. Zudem ist es möglich, den Wärme- und Kühlhaushalt zu beeinflussen, etwa durch integrierte Flächenheizungen. Darüber hinaus existieren adaptive Materialien und Systeme, welche Veränderungen in der Akustik oder des U-Werts ermöglichen. Bei uns am ILEK wurde zu verschiedenen Systemen dieser Art bereits geforscht. Im Bereich der Lüftung können adaptive Fassaden die natürliche Belüftung steuern und dabei Luftqualität sowie CO₂-Gehalt kontinuierlich überwachen. So lässt sich der Energiebedarf reduzieren und gleichzeitig der Nutzerkomfort verbessern.


Welches Potenzial haben adaptive Fassaden für Net-Zero-Buildings?

SK: Nach unseren Berechnungen aus Simulationen lassen sich durch adaptive Fassen, etwa in Form schaltbarer Verglasungen, Energieeinsparungen von 10 bis 40 Prozent erzielen, verglichen mit statischen Fassaden. Das ist ein signifikanter Beitrag zur Reduzierng des Energiebedarfs. Um auf eine Energiebilanz von netto Null zu kommen, muss das Gebäude jedoch selbst zum Energieerzeuger werden. Die einfachste und günstigste Variante bieten aktuell gebäudeintegrierte Photovoltaik und Solarthermie in der Fassade zur Erzeugung von Strom oder Wärme. Auch organische Photovoltaik, also transparente Solarzellen auf Polymerbasis, die Strom erzeugen, während sie Licht durchlassen, existiert bereits. 


Wie funktionieren adaptive Fassaden aus technischer Sicht?

SK: Nach dem Prinzip eines Regelkreislaufs. Adaptive Fassaden erfassen Zustände und reagieren auf Veränderungen mit gezielten Anpassungen. Dazu braucht es Sensorik, Aktorik und ein BMS, also ein Building Management System. Sie Sensoren erfassen verschiedene Parameter wie Temperatur, Helligkeit, Wind oder Luftqualität. Die Daten werden von einer Steuerungseinheit oder einer KI ausgewertet, die dann entscheidet, welche Maßnahme eingeleitet wird – etwa das Verstellen von Lamellen, das Öffnen von Fenstern oder die Anpassung der Transparenz einer Glasfläche. Aktoren sorgen schließlich für die Umsetzung, Das sind bewegliche Elemente der Fassade wie Lamellen oder Jalousien, schaltbare Verglasungen oder Lüftungsklappen. Entscheidend ist das Zusammenspiel zwischen Fassade, Gebäudetechnik und Nutzenden.


KI spielt bei der Fassadensteuerung also bereits eine tragende Rolle?

SK: KI gestüzte Syteme, auch zur Fassadensteuerung, sind Realität. Die KI analysiert nicht nur aktuelle Sensordaten, sondern bezieht auch Wetterprognosen, Stromtarife, Belegungsdaten oder sogar individuelle Nutzergewohnheiten mit ein. Dabei handelt es sich jedoch um spezialisierte Systeme, die auf sehr konkrete Aufgaben bzw. Muster hin trainiert wurden. Wir sprechen hier von Individuallösungen für einzelne Gebäude. Herausfordernd wird es, wenn universelle KI-Modelle, wie es ChatGPT für die Textverarbeitung getan hat, mit einer ganzheitlichen Lösung die Regelung von Fassaden standardisieren.


Womit wir beim Thema Ihrer Doktorarbeit wären...

SK: Genau. Im Bereich der Fassadensteuerung gibt es keine allumfassende KI, die jeder verwendet. Oder anders gesagt: Es gibt kein ChatGPT für die Fassade. Ich versuche in meiner Arbeit am Beispiel schaltbarer Verglasungen, elektrochrome und solche auf Flüssigkristallbasis, einen allgemeinen Ansatz zu finden, der für einen Großteil der Fassaden funktionieren sollte, ohne dass man für jede Fassade ein einzelnes Modell entwickeln muss, das die Fassade steuert. Das Ziel ist ein selbstlernender, gebäudeunabhängiger Algorithmus, der mittels maschinellen Lernens selbst herausfindet, was er machen muss, um eine spezifische Fassade zu steuern und zu regeln. Eine einzige KI berechnet Optimalzustände individuell für jedes Gebäude. Es braucht keine komplizierten Gebäudesimulationen oder Algorithmus-Entwicklungen für jede einzelne Fassade mehr. Das ist der Mehrwert meiner Arbeit.


In welcher Richtung entwickelt sich die Forschung? Stehen eher die Materialien oder die Algorithmen im Vordergrund?

CE: Ein Schwerpunkt der Forschung liegt meines Erachtens zunehmend in der Funktionsintegration, also der Frage, wie sich technische Funktionen sinnvoll in Gebäude und Bauteile integrieren lassen und wie sich zugleich Synergien zwischen unterschiedlichen Fassaden- und Gebäudetechnologien erschließen lassen. Verdunstungskühlende Systeme wie HydroSKIN lassen sich beispielsweise mit schaltbaren Dämmungen kombinieren, sodass sich die Kühlwirkung noch gezielter in den Innenraum übertragen lässt. Auch im Zusammenspiel mit BIPV eröffnen sich Potenziale: Die Verdunstungskühlung senkt die Betriebstemperatur der Module und steigert dadurch ihre Effizienz. Ähnliche Synergien ergeben sich mit begrünten Fassadensystemen.

SK: Bei Algorithmen geht es um selbstlerne KI-Systeme mit prädiktiver Steuerung, die nicht nur auf vordefinierte Szenarien reagieren, sondern antizipieren und proaktiv agieren. Zentrale Forschungsfelder, auch für mich persönlich, sind Machine-Learning-basierte Regelungsstrategien und Multi-Objektiv-Optimierungen, zum Beispiel zur Verbesserung von Energieeffizienz, Tageslicht und Komfort. Die größte Herausforderung liegt in der Systemintegration: Schnittstellen zwischen Fassade, Heizung, Lüfung und Klimatechnik, Energiemanagement und Gebäudeautomation müssen interoperabel, standardisiert und sicher sein. Ohne klare Protokolle und einheitliche Plattformen scheitern Projekte an fragmentierten Systemen.


Was würden Sie Planern, Architekten, Ingenieuren und Investoren raten, die Gebäude mit adaptiven, KI-regulierten Fassaden realisieren wollen? 

CE: Für deren Einsatz sind Lebenszyklusanalysen (LCA) und Lebenszykluskostenanalysen (LCC) essentiell. Sie zeigen, ob sich ein solches System ökologisch und ökonomisch über den gesamten Lebenszyklus tatsächlich lohnt. Das ist besonders wichtig, weil aktiv-adaptive Systeme zwar einerseits Energieeinsparungen ermöglichen sollen, im Betrieb jedoch selbst Energie verbrauchen, gewartet werden müssen und potenziell anfälliger sind. Ebenso entscheidend ist eine integrale Planung sowie die frühzeitige Einbindung der relevanten Fachdisziplinen – insbesondere aus der Gebäudetechnik und Regelungstechnik. 

SK: Fragen zu Standards, Datenhoheit und Haftung müssen geklärt werden. Wer trägt die Verantwortung bei Fehlfunktionen, Systemausfällen oder Cyberangriffen? Wem gehören die Daten? Wichtig ist auch die Balance zwischen Autonomie und Kontrolle. Das Verhalten selbstlernender KI-Modelle kann schwer vorhersagbar sein. Hinzu kommen technische Herausforderungen durch unterschiedliche Systeme, Hersteller und Altanlagen, die eine einheitliche Integration erschweren. Da bei Immobilienbetreibern Kosten und Zuverlässigkeit oberste Priorität haben, erfolgt die Einführung intelligenter Gebäudetechnik schrittweise. Pilotprojekte, welche deutlich den Return on Investment aufzeigen, sind daher sehr wichtig für die Transformation.

Johannes Manger

Johannes Manger

Journalist und PR-Spezialist

Autor für den Hub Building. Technology. Solutions. Beschäftigt sich mit Hightech aller Art. Hat ein Faible fürs Planen und Bauen. Schwerpunkt: B2B-Kommunikation. Motto: Nichts ist zu kompliziert, als dass man es nicht verständlich und nachvollziehbar erklären könnte.

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